Beschneidungsbetroffene wenden sich gegen den Gesetzesentwurf der Bundesregierung

BERLIN 10.10.2012

In Berlin wird das Bundeskabinett hat heute die umstrittene Legalisierung nicht-therapeutischer Vorhautamputationen an einwilligungsunfähigen Jungen beschlossen.

Einige Mitglieder des kürzlich gegründeten Facharbeitskreises von Beschneidungsbetroffenen im MOGiS e.V. ( http://die-betroffenen.de) nahmen dazu Stellung.

Alexander Bachl, dem als Kind aus religiösen Grunden von einem Arzt die Vorhaut amputiert wurde, sagt:
"Das Gesetz zur Legalisierung der Beschneidung ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die unter ihrer Beschneidung leiden. Rücksichtslos wurden alle von den beschneidungswünschenden Lobbys geforderten Praktiken, gleich wie schädlich und grausam, untergebracht. Man erkennt mit Schrecken, wie wenig das Leid von Kindern bei Politikern auf Empathie trifft."

Volker Sharing meint dazu:
"Als von Zwangsvorhautamputation Betroffener stehe ich erschüttert vor einem Gesetz, das Jungen das Recht auf genitale Unversehrtheit aberkennt. Dieses Gesetz beschneidet uns Zwangsbeschnittene ein zweites Mal, denn es negiert schlicht, wie Männer wie wir mit ihrer Beschneidung und deren Folgen leben. Die Bundesregierung ist taub und blind für die zahlreichen Berichte, in denen wir unter Überwindung unserer Scham von den Folgen der Zwangsbeschneidung für unser Leben berichten. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, unsere Erfahrungen in ihr Gesetz miteinfliessen zu lassen. Dies wurde ausrücklich nicht erwünscht. Wir und die zukünftigen Opfer von Zwangsbeschneidungen werden so zu Kollateralschäden einer nicht zuende gedachten Staatsräson. Diesem Gesetz liegt auch eine zutiefst sexistische Abwertung männlicher gegenüber weiblichen Genitalien zugrunde, gegen die ich als Mann und Mensch heftigst protestiere."

Bachl ergänzt:
"Weiterhin dürfen medizinische Laien Kinder ohne jegliche behördliche kontrolle und Betäubung operiert. Weiterhin haben Kinder kein Mitspracherecht, wenn sie sich gegen ihre Vorhautamputation entscheiden. Das Mitspracherecht besteht zwar laut Eckpunkten, nur wird es bei rituellen Beschneidungen durch die Verwaltung der Religiösität durch die Eltern ausgeheblt. Auch soll jeder Einzelfall auf die Notwendigkeit einer Betäubung durch den Beschneider überprüft werden. Beschneider, die bisher ohne Betäubung operierten, werden jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Betäubung in 100% der Fälle für unnötig halten. Man erkennt mit Schrecken, wie wenig das Leid von Kindern bei Politikern auf Empathie trifft."

Der erste Vorsitzende des Vereins MOGiS e.V. - Eine Stimme für Betroffene sagt:
"Dieser Gesetzesentwurf, wie auch das ganze Gesetzgebungsverfahren, ist ein Skandal. Zu keinem Zeitpunkt wurden negativ von einer Vorhautamputation als Kind Betroffene gehört. Das Leiden wird negiert. Möglich sexuelle Folgen sind im Gesetzesentwurf dementsprechend auch mit einem Satz abgehandelt - dabei wäre es doch gerade an den Beschneidungsbefürwortern nachzuweisen, dass diese Praxis nicht schädlich ist, schließlich hat sie - rituell ausgeübt - keinen therapeutischen Nutzen."

Der von einer ritualisierten Beschneidung betroffene Ali Utlu [2] fügt hinzu:
"Die Debatte über die Beschneidung läuft sehr einseitig, denn Opfer kommen nicht zu Wort, werden totgeschwiegen. Es ist eine rein religiöse Diskussion. Ich werde mein Leben lang unter den Auswirkungen leiden müssen, wie viele andere auch die bei der Entscheidung übergangen wurden. Meine Beschneidung nehme ich im Nachhinein wie eine Vergewaltigung meines Körpers wahr. Zudem handelte es sich um einen Eingriff in meine eigene Religionsfreiheit - der Freiheit auch keiner Religion anzugehören. Durch das Kupierverbot haben in Deutschland sogar Hunde mehr Rechte als Kinder! Das Betroffene bei der Anhörung am heutigen Freitag übergangen werden, macht sie erneut zu Opfern. So macht sich die Politik zum Mittäter!"

Werner E. ein weiterer von einer Vorhautamputation als Kind betroffener Mann [3] schreibt:
"Meine Beschneidung wurde sauber und nach den Regeln der ärztlichen Kunst in einer Klinik durchgeführt. Die psychischen Schmerzen und Probleme kamen erst später. Meine eigene Sexualität war von je her geprägt von Enttäuschungen. Geschlechtsverkehr endete oft in der Bitte meiner Partnerinnen, ich möge doch bald zum Ende kommen, da sie selbst langsam Schmerzen hätten.Wohingegen ich in diesen Momenten meistens erst begann, intensive Gefühle zu entwickeln. Meine Beschneidung hat mir einen großen Teil meiner Sexualität für immer genommen. Das belastet nicht nur mich sehr stark sondern natürlich auch meine Frau, die sehr darunter leidet, dass Sie mir nicht das geben kann, was ich mir wünsche."

Zum Gesetzgebungsverfahren ergänzt E.:
Mein Weg vom Befürworter zum Gegner der Beschneidung war lang. Inzwischen stellt eine nicht-therapeutische Vorhautamputation minderjähriger Kinder - oder gar von Säuglingen - für mich eindeutig einen Akt der Körperverletzung und Missbrauch Schutzbefohlener dar. In vielen Postings auf diversen Internetforen schreiben Mütter, dass sie ihre Söhne schon im frühesten Kindesalter „stramm und hoch“ beschneiden lassen, weil es so ästhetisch sei oder gar, weil es die Masturbation in der Jugend verhindern könne. Auch solchen Absichten wird mit dem vorgestellten Gesetzesentwurf des BMJ nun Tür und Tor geöffnet. Das Wichtigste, die Kinder, bleiben außen vor. Es wäre gerecht gewesen, in den Anhörungen im BMJ auch Männer zu Wort kommen zu lassen, die die Verletzungen, die sie durch ihre Beschneidung erlitten haben erkannt haben und sie ansprechen. Männer die unter dem ihnen aufgezwungenen Zustand leiden und die mit diesem Gesetzentwurf verhöhnt werden. Dass man uns ausgesperrt hat, ist - wenn man die Art wie dieser Gesetzentwurf zustande gekommen ist berücksichtigt - jedoch leider nur konsequent."


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# Verweise
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[1] Ein Interview mit dem 1. Vorsitzenden von MOGiS e.V. im Freitag: http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/der-staat-muss-die-schwachen-schuetzen

[2] Ali Utlu wurde unter äußerst traumatischen Umständen bei einem Beschneidungsfest bei einem Türkei-Urlaub von seinem Onkel beschnitten, einer Art Beschneidungstourismus die auch ohne Verbot schon stattfand und Mangels Regelung auch weiter stattfinden wird. -> http://tinyurl.com/ali-utlu

[3] Auszug aus der persönlichen Stellungnahme Werner E.'s von der Webseite des MOGiS e.V. unter: http://mogis-verein.de/2012/09/27/sauber-und-schmerzlos/

[4] Alexander Bachl hat sich mit einem Appell an Abgeordnete des Deutschen Bundestages gewandt: http://die-petition.de/pressemappe/stellungnahme-mogis-ev/#bachl

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# Zu MOGiS e.V. - Eine Stimme für Betroffene
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MOGiS e.V. ist ein ursprünglich von Opfern sexuellen Kindesmissbrauchs gegründeter Verein. Er begreift sich als eine Stimme für Betroffene von sexualisierter Gewalt sowie Missbrauch und Misshandlung im Kindesalter. Er setzt sich für den Schutz der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung von Kindern ein. Zudem engagiert er sich für den Erhalt und die Stärkung von Menschenrechten on- und offline.

MOGiS e.V. nahm mit zwei Mitgliedern am Runden Tisch "Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich" und den Sitzungen seiner Arbeitsgruppen teil.

Seit 2010, sowie verstärkt seit dem Urteil des Landgerichts Köln, beschäftigt sich der Verein mit dem Schutz der Körperlichen Unversehrtheit von Jungen vor nicht-therapeutischen Vorhautamputationen. Im Rahmen dieser Arbeit kommen immer wieder Betroffene auf den Verein zu um Ihre Betroffenheit öffentlich zu kund zu tun und damit Gehör zu finden.