Der goldene Schnitt

„Der goldene Schnitt – ein Fest rund um die Vorhaut“ von Tuğsal Moğul am Schauspielhaus Dortmund

 

In dem einstündigen Stück wird ein Ehepaar vorgestellt, das zur rituellen „Beschneidung“ ihres Sohnes einlädt. Das Publikum dient dabei als anzuspielende Festgesellschaft, denn aus zahlreichen Ländern sind Verwandte und Freunde angereist. Der Sohn ist derweil noch auf einer Spritztour mit dem Onkel im Porsche bei 220 Sachen auf der Autobahn. Die Eltern wirken nervös und etwas überdreht. Und Stück für Stück werden dafür jeweils ganz unterschiedliche Motivationen sichtbar. Mutter Judith - mit überwiegend muslimischen, aber auch jüdischen Wurzeln und praktizierende Urologin - will die Vorhautamputation ihres Sohnes unbedingt. Sie nennt angebliche Vorteile der Hygiene, geringere Werte bei sexuell übertragbaren Krankheiten und Komplikationszahlen, die gen Null tendierten, spricht von einem „kleinen Schnitt“ und einem „Stückchen Haut“. Wirklich Format bekommt ihre Figur, als sie davon berichtet, wie sehr sie unter einer zunehmend fremdenfeindlichen Gesellschaft leide, dass brennende Flüchtlingsheime in ihr eine tiefe Angst auslösten und wie sehr sie eine wirkliche Heimat vermisse. Als anschauliches Bild dazu liefert sie den mit Nazitatoos übersäten Körper eines Mannes, den sie zuletzt in der Klinik behandeln musste.

 

Vater Ibrahims Familie stammt aus der Türkei. Seine Gedanken richten sich eher auf seine eigenen, wie sich immer mehr vermittelt, schmerzhaften Erinnerungen. Er weiß über bei einer Vorhautamputation irreversibel durchtrennte Nervenenden und dass sich negativ Betroffene zunehmend im Internet austauschen. In den USA seien Geräte zu kaufen, mit denen Betroffene mit Mühe und Geduld anteilige Effekte einer Resensibilisierung der Eichel zu erreichen versuchten. Als Anästhesist ist ihm schon das grundsätzliche Narkoserisiko einer jeden Operation bewusst. Ihn bewegt die Frage des Kinderarztes, ob er seinem Sohn nicht auch etwas mitgebe, wenn er ihn nicht „beschneiden“ ließe.

 

Die Eltern geraten in Streit, während der Junge als Prinz kostümiert im quietschbunten Riesenspielzeugauto mit Diskobeleuchtung sitzt und Geschenke auspackt. Als sich das Auto schließlich in einen OP-Tisch verwandelt und der Junge nur noch im Hemd, den Eingriff erwartend, dort liegt, kippt die Situation: Ibrahim schreit aus, dass er „Nein“ gesagt hätte, wenn ihn als Jungen damals ein Erwachsener gefragt hätte, ob er die Vorhautamputation überhaupt wolle. Dazu läuft ein privates Video ab, seine Erinnerungen in Bilder fassend. Die Eltern und ein wenig später schließlich der Junge verlassen die Bühne. Wir – als Theaterpublikum, geladene Festgäste oder auch einfach als Menschen – bleiben zurück.

 

Die hervorragenden schauspielerischen Leistungen von Jasmina Musić und Murat Seven als Elternpaar ernteten zu Recht großen Beifall.

Wir danken dem Theater Dortmund und dem Produktionsteam um Tuğsal Moğul (Autor und Regisseur) und Michael Eickhoff (Dramaturgie) für einen wertvollen Beitrag zu einer offenen Diskussion.

 

 Nächste Vorstellungen: 22.4., 28.4., 14.5. und 29.5.