Wolfgang F.

Wenn man mich vor wenigen Jahren gefragt hätte, ob ich Probleme mit meiner Beschneidung habe, hätte ich vermutlich spontan verneint. Warum auch? Ich bin glücklich verheiratet, Vater von drei wunderbaren Kindern und habe auch beruflich meinen Weg gemacht.

Wenn man mich heute fragen würde, würde ich mit ja antworten. Denn dieser Eingriff hatte weitreichende Folgen, die ich zwar zu spüren bekam, aber lange nicht in Verbindung mit der Beschneidung bringen konnte.

Ich wurde im Alter von fünf Jahren wegen einer von der Kinderärztin diagnostizierten Phimose beschnitten. An Probleme im Vorfeld, wie etwa Schwierigkeiten beim Urinieren oder Entzündungen etc. kann ich mich nicht erinnern. Nur daran, dass es beim Arzttermin nicht gelang, die Vorhaut zurückzuschieben. Bei meinem Brunder gelang dies bei selbigem Arzttermin bereits im Alter von vier Jahren, woraufhin beschlossen wurde, dass bei mir etwas "gemacht werden" muss. Mir wurde beigebracht, das sei ganz normal, beim Vater hätte das auch "gemacht werden" müssen. So weit ich mich erinnere, hatte ich keine Angst vor dem Eingriff und vertraute darauf, dass es sich um eine Notwendigkeit handelte, die weiter keine größeren Konsequenzen für mich haben würde.

An die Operation selbst kann ich mich nicht erinnern, zumal diese in Vollnarkose stattfand. Wohl aber erinnere mich mich an die Worte des Arztes, der nach dem Rechten sah, als ich vor Schmerzen schreiend im Aufwachraum lag. Er meinte, ich solle mich nicht so anstellen, in Afrika würden sie das ohne Narkose mit Glasscherben machen und hinterher ein bisschen Sand draufwerfen. Allein die Tatsache, dass ich mich an die Worte des Arztes und an die Momente nach der Operation auch nach über 30 Jahren noch so gut erinnern kann, lässt mich heute daran zweifeln, dass die Folgen des Eingriffes nur physischer Natur waren.

In meiner Erinnerung bestand die Nachsorge aus einem einzigen Termin bei der Kinderärztin. Ob das ordentlich gemacht sei, wollte die Mutter wissen. Ein flüchtiger Blick und ein verhaltenes ja waren der Deckel auf dem Thema.

In meiner Kindheit machte ich mir wenig Gedanken über das kosmetische Ergebnis oder gar die Auswirkungen auf die Funktionalität meiner Geschlechtsorgane, war mir doch beigebracht worden, es würde nur überflüssige bzw. störende Haut entfernt. Für mich gab es nur beschnitten und unbeschnitten. Beides war normal, warum sollte ich mir auch Gedanken machen?

Als sich die Pubertät anbahnte, realisierte ich irgendwann, dass Erektionen begannen, unangenehm zu werden. Ich stellte mir manchmal die Frage, wieso immer wieder zu hören war, Selbstbefriedigung sei normal und man hätte danach ein gutes Gefühl, man sei eben befriedigt. Anstelle des guten Gefühls hatte ich besonders danach Schmerzen, die ich mir nicht erklären konnte. Obwohl ich mich damals durchaus als aufgeklärt bezeichnet hätte, kann ich mich in diesem Zusammenhang noch an höchst irrationalen Gedanken erinnern. Natürlich wusste ich, dass es normal war, was ich tat, paradoxerweise war die Masturbation dennoch begleitet von Scham- und Schuldgefühlen. Was weh tat konnte nicht gesund sein, und ich selbst verursachte ja durch mein doch irgendwie unanständiges Tun diese Schmerzen. Irgendwie fand die Natur aber einen Weg, und nach einigen Jahren waren Masturbation und Geschlechtsverkehr schmerzfrei möglich.

Heute weiß ich, dass bei der Operation schlichtweg zu viel Haut entfernt wurde, sodass es zu unangenehmen bis schmerzhaften Hautspannungen kam. Dies ging manchmal so weit, dass einzelne unsauber vernähte Partien im Narbenbereich zu nässen und jucken begannen. Wenn ich heute auf das blicke, was ich in Kindheit und Jugend erst als normal und dann als gegeben angesehen hatte, so zeigt dieser Blick jetzt etwas anderes. Ich blicke ich auf eine unterschiedlich erhabene, schief verlaufende Narbe. Einzelne Stiche sind deutlich zu erkennen, mehrere kleine Täschchen sind entstanden. Auf einer Seite ist etwas mehr innere Vorhaut erhalten, auf der anderen ist nicht leicht zu unterscheiden, woher welcher Hautrest seinen Ursprung hat, als ob der Operateur sich nicht hätte entscheiden können, was er wo festnähen soll. Auf der Unterseite des Penis befindet sich so wenig originale Schafthaut, dass der Schaft auf halber Länge mit behaarter Skrotalhaut bedeckt ist. Bei Erektionen hängt das Skrotum nicht mehr entspannt, sondern wird ein gutes Stück mit dem Schaft mitgezogen. Am entspannten Penis ziehend, bildet sich unterseits ein Segel aus Skrotalhaut.

Irgendwann wurde mir klar, dass diese anatomischen Besonderheiten zumindest nicht in Gänze meiner Genetik geschuldet sein können. Vielmehr scheinen derartige Folgen verbreitet genug zu sein, dass plastische Chirurgen verschiedenerseits Operationen anbieten, die durch Entnahme der Haut des Skrotalsegels einen Gewinn an optischer Länge und eine verbesserte Ästhetik versprechen und diese Operation mitunter offen als Korrekturoperationen für in der Kindheit beschnittene bezeichnen. 

Ich war etwa 18 Jahre alt, als mir ein Freund erzählte, er könne so lange Sex haben, wie er wolle, beim vaginalen Geschlechtsverkehr sei er noch nie gekommen, was daran läge, dass er, wie die Pornostars, beschnitten sei.

Diese Anekdote lange als jugendliche Prahlerei abtuend, weiß ich heute, dass wohl auch etwas Wahrheit darin lag. Während ich nie Orgasmusprobleme hatte, konnte ich irgendwann auch an mir selbst feststellen, dass sich die Empfindsamkeit der permanent ungeschützten Eichel mit den Jahren durchaus veränderte. Während ich zu Beginn der Pubertät noch so empfindlich war, dass eine direkte Stimulation der Eichel kaum möglich war und auch das Tragen von Boxershorts lange unangenehm, war beides irgendwann kein Problem mehr. Stattdessen wurde es zunehmend schwieriger, Orgasmen durch vaginalen Geschlechtsverkehr auszulösen, wenn Kondome im Spiel waren.

Obwohl ich seit dem Eintritt ins Erwachsenenalter beschwerdefrei sexuell aktiv sein kann, beschäftigt mich das Thema heute auf psychischer Ebene umso mehr, und schon aus Neugier darauf, wie anders es ohne Beschneidung heute wäre, würde ich viel darum geben, das vermeintlich überflüssige Stücken Haut wäre nicht amputiert worden.

 

Manche Männer schaffen es, die verbliebene Haut so weit zu dehnen, dass eine dauerhafte Bedeckung der Eichel erreicht wird. Doch dieses Unterfangen ist zeitaufwendig und erfordert viel Hingabe und Mut. Ärztliche Unterstützung hierfür ist schwer zu finden, weshalb wenige bereit sind, sich auf diese Reise einzulassen, wissend, dass sie im Zweifelsfall nicht mit ärztlicher Hilfe rechnen können, sondern auf Unverständnis stoßen würden und mit eventuellen Schäden genauso allein gelassen werden würden wie auch bereits mit den Folgen der Beschneidung.

 

In der Zukunft, die ich mir wünsche, wären nicht medizinisch indizierte Beschneidungen verboten. An die medizinischen Indikationen für operative Eingriffe an Genitalien wären hohe Maßstäbe anzulegen und konservative Behandlungen würden deshalb bevorzugt.

Die Männer, bei denen kein Weg an einer Operation vorbeiführt, denn auch die wird es geben, erführen eine Nachsorge, wie sie in anderen Bereichen schon heute gang und gäbe ist. Durch Operationen verursachte Beschwerden fänden Anerkennung und Ärzte hätten das entsprechende know-how, um Behandlungen anbieten zu können, die ganz selbstverständlich von den Kassen übernommen werden würden.